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Sonntag, 8. Mai 2016

Jakobus in der Nische


Ich bin ausgeruht und satt und mache mich gut gelaunt auf den Weg. Wieder war das letzte Quartier das beste: die Freundlichkeit meiner Gastgeber, das reichhaltige Frühstück, von dem sich die Reste in meinem Rucksack befinden, die Qualität von Matratze und Unterkunft. Heute ist der letzte Tag meiner Fußreise durch die Altmark auf dem Brandenburgischen Jakobsweg; Sand-, Feld und Waldwege und das längste zusammenhängende Reitnetz Europas. Schließlich kommt die Sonne doch noch zurück. Der Weg ist trocken, der Tag warm und sonnig. An den Himmel hat jemand Cirruswolken gesprüht. Ein idealer Wandertag.
Ich verlasse Krusemark über die Dorfstraße zurück auf dem Elberadweg ins zwei Kilometer entfernte Groß-Ellingen. Hinter den letzten Häusern schlängelt sich der gepflasterte Radweg zwischen blühenden Apfelbäumen an einer Landstraße entlang, die vergebens auf ein Auto wartet. Jenseits des Ortsschilds steht eine weitere romanische Feldsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert verlassen zwischen Feldern. Kurz verspüre ich den Impuls einzutreten, um mir die vier Epitaphe der Familie Krusemark anzusehen, aber den Schlüssel zu besorgen, ist mir früh am Sonntagmorgen zu umständlich. Die Kühle eines Kirchenschiffs verspricht nicht wirklich eine Alternative für das Licht der warmen Morgensonne. Auf meiner Fußreise habe ich inzwischen genug bedeutende Bauwerke, Orgeln, Skulpturen, mannigfach künstlerische Ausdrucksweisen und Kirchendesign aus dem Mittelalter gesehen. Ich fühle mich gesättigt und will mir nicht den Appetit verderben. Meine Neugier auf Kirchenkunst muss noch für die St. Stephanskirche in Tangermünde reichen.

Sonntag, 3. April 2016

Wunderblut und Ablasshandel


Am nächsten Morgen bekomme ich unerwartet ein üppiges Frühstück. Was sich gestern kompliziert anhörte, gelingt heute einfach. Gegen sieben Uhr klopft meine Wirtin an die Tür. Sie bringt ein hoch beladenes Tablett herein, das reichhaltigste und schmackhafteste Frühstück seit meinem Aufbruch aus Berlin, ein Frühstück, wie ich es mir besser nicht wünschen kann. An den anderen Tagen hatte ich nur einen Rest Brot, Obst und Käse vom Vortag. Genüsslich esse ich alles auf, selbst das Omelett. Eier habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr gegessen, seit ich mir vorgenommen habe, so vegan wie möglich zu leben. Nicht als Dogma, als Annäherung an einen schonenderen Umgang mit Natur und Umwelt, eine alternative Ernährung für den Frieden mit Gaia. Und nun stelle ich mir vor, dass die unten im Garten scharrenden Hühner mir ihre Eier gerne gegeben haben. Ein anderes Resultat der Liminalität, die ich empfinde. Mein Oberschenkel hat sich beruhigt und ich starte gut gestimmt in meinen vorerst letzten Pilgertag. Eigenartig unverkrampft geht mir die Begrifflichkeit inzwischen über die Zunge. Ein letzter Schwatz mit der über 70jährigen Schwester meiner Vermieterin, die aus Berlin zu Besuch ist. Wir reden über Dies und Das und kommen zu dem Schluss, dass Berlin eine spannende Stadt ist, es sich aber in der Natur von Groß Leppin ruhiger leben lässt. Gut gelaunt mache ich mich auf den Weg, die nächste museale Kirche im Visier, nicht zu verfehlen, da ihr Turm auch hier die Häuser überragt. Um den weiteren Weg kümmere ich mich nicht, denn bisher waren die Kirchen gute Marker. Ich hatte geglaubt, schreibt Carmen Rohrbach, ich müsse nur aufbrechen, mich aus verbrauchten, beengenden Bindungen befreien, dann würde sich schon etwas Neues, Sinnvolles ergeben. Aber ich habe kein Ziel. Das ist es! Ich wandere durch mein Leben, ähnlich wie auf diesem Pilgerweg. Sie besitzen etwas eigentümlich Vertrautes, die Reflexionen anderer Pilger, die fast nahtlos an meine eigenen Gedanken und Gefühlen grenzen. Ein Leitmotiv, dass ich gerne auf meinen Weg nach Wilsnack mitnehme. Besonders weil ich inzwischen weiß, dass Pilgern eine nützliche Metapher des menschlichen Lebens ist. Wahrscheinlich liegt in diesem Vergleich auch der Grund für die Kulturen verbindende Idee des Pilgern. Sein eigenes Leben auf einer Fußreise, jenseits des Alltags, zu reflektieren, hat keine konfessionelle, auch nicht unbedingt eine religiöse Komponente.

Freitag, 1. April 2016

In inneren und äußeren Räumen


Ich frage mich, ob es salutogenetisch wichtig ist, ob Einsamkeit bewusst und absichtlich gewählt oder als Zumutung des Schicksals erlebt wird. Das Schicksal führt nur den Willigen, heißt es, der bereit ist, loszulassen und zu akzeptieren. Liebe und Leid, die schwierigen Schwestern der indoeuropäischen Mythologie. Sie sind immer zu dritt, um auch dem Übergang der Gegenwart ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Nornen und Moiren, das sind die weisen alten Frauen, denen wir uns alle stellen müssen. Vielleicht entspricht es meinem Selbstentwurf, auch allein glücklich zu sein, weil ich dann besser zu mir finde? Vielleicht sind alle Bemühungen um soziale Beziehungen immer auch fremdbestimmt und äußerlich? Gibt es ein richtiges Leben im falschen?, fragt Theodor W. Adorno in seiner Minima Moralia. Ich glaube nicht. Außer jemand redet sich ein, dass Konventionen und Kompromisse das richtige Leben abbilden. Mit diesen Gedanken komme ich heute morgen schwer aus dem warmen Schlafsack. Es wird gerade hell, und im Turm der Barsikower Kirche ist es eisig kalt. Jetzt Ende März hat das Kirchengemäuer noch nicht bemerkt, dass es sich draußen frühlingshaft regt. Doch es dämmert bereits und ich will früh aufbrechen.

Donnerstag, 31. März 2016

Pilgerzeichen auf alten Glocken


Am nächsten Morgen wache ich wieder ungewöhnlich früh auf. Das Fenster ist beschlagen. Außen folgen Regentropfen in dünnen Schlieren der Erdanziehung und zeichnen skurrile Wasserbilder auf die Scheiben. Durch ein regennasses Fenster blicke ich auf eine tieforang angestrahlte Wolkenlandschaft, hinter der sich die Sonne für einen Augenblick die Ehre gibt. Hoffnung auf gutes Wetter. Noch während ich zuschaue, wird das Leuchten schwächer, verblasst und verschwindet schließlich in den schweren nassen Wolken, die tief am Himmel hängen wie in einem nassen Sack. Der lichte Hoffnungsstreifen am Horizont verlöscht. Schneller als ich mir wünsche, kommt der Regen zurück.
Ich entscheide mich für einen Poncho und damit für Neuruppin, die Kreisstadt, wo ich hoffe, ein Sportgeschäft zu finden. Damit entscheide ich mich auch für die zweite Busfahrt meiner Fußreise. An der Haltestelle stehe ich mit vielen anderen im Nieselregen auf der Straße und warte auf den Bus. Die Fenster des historischen Postgebäude gegenüber, das ich gestern noch für aufgegeben hielt, sind hell erleuchtet. Eine Stunde später komme ich in Neuruppin an, mit all den Pendlern, auf dem Weg zur Arbeit. So viele Jahre bin ich selbst diesen Weg gegangen, nun froh darüber einen anderen Weg gefunden zu haben. Die lange Fahrt durch ein Industriegebiet geht in eines dieser ewig gleichen Wohnsilos der Stadtränder über, löst sich auf in die in brandenburgisch-preußischer Manier geometrisch realisierte Stadtanlage, das historische Neuruppin. Ich stehe im Regen vor einer großen Pfarrkirche in der Altstadt, von wo die Busse in alle Richtungen abfahren. Der nach Fehrbellin fährt nur dreimal am Tag. Gegenüber das Stadtcafé, mehr ein Kiosk. Meine Hoffnung auf einen heißen, anregenden Cappuccino steigt. Schließlich drückt mir eine hektische Frau einen Pott Filterkaffee in die Hand, den ich nach dem zweiten Schluck ungesehen in einem Blumentopf entsorge. Hundert Meter weiter finde ich ein Sportgeschäft mit einem gesprächigen Verkäufer, der mich ausführlich ausfragt. Er ist der erste, der das Heilige Jahr in Aachen, meiner Heimatstadt, erwähnt, an eine andere, bedeutende mittelalterliche Wallfahrt erinnert. Alle sieben Jahre werden dort Reliquien aus der Frühzeit des Christentums zur Schau gestellt.